Es ist immer verblüffend, was uns die »Obrigkeit« an Gedankengut vermittelt, auch wenn dieses in krassem Gegensatz zur eigentlichen Situation steht.
So liess uns der italienische Ministerpräsident Mario Monti Anfang Januar doch tatsächlich wissen, dass »die EU das schönste Projekt der Menschheit« sei. [1] Bei einem Treffen Montis mit Merkel in Berlin erklärte er am 11. Januar des weiteren, dass Italien nach der ersten Phase der Reformen zwecks Ausgleich seiner Staatsfinanzen wieder eine wichtigere Rolle in Europa spielen wolle. Gleichzeitig warnte er vor anti-europäischen Protesten in Italien, falls es für die Italiener in absehbarer Zeit keine greifbaren Erfolge ihrer Spar- und Reformbereitschaft gebe, wohl wissend, dass das restliche Europa an der Misere seines Landes keine Schuld trifft und die Anstrengungen in dieser Richtung ausschliesslich von den Italienern selbst zu erbringen sind, so dass Proteste der genannten Art keinesfalls dazu geeignet wären, hier Abhilfe zu schaffen. Auf die Frage eines Interviewers der Welt [Ausgabe vom 11. 1. 12], ob Italien wieder ein zentraler Player in der EU werden wolle, antwortete er: »In der Tat, das wollen wir. Und ich glaube, viele in Europa sind dieser Meinung. Wir sind ein starkes, ein stolzes Land, und wir haben eine im Prinzip effektive Wirtschaft.« [2]. Die Domäne Steuerflucht fand indessen keinerlei Erwähnung, auch wenn die Ankündigung Montis steht, dieses Jahr gezielt nach Steuerhinterziehern zu fahnden. Schätzungen zufolge wird in Italien die kaum vorstellbare Summe von jährlich 120 Milliarden € hinterzogen. [3] Natürlich tritt auch die Verschwendung ins Spiel, da Italien laut einer Erhebung vom 19. 5. 2011 18 Milliarden € für die 600.000 Limousinen der Politiker ausgab, Benzin und Gehälter der Fahrer eingeschlossen. »Stil hat eben seinen Preis«, vermerkte die Welt hierzu sinnigerweise. Der Schuldenberg Italiens wurde Ende September 2011 mit 1.9 Billionen € beziffert, was 120 % der Wirtschaftsleistung des Landes entspricht.
Bei der Anfang Januar in Cortina d’Ampezzo vorgenommenen Fahndung sassen am Tag vor Silvester die Steuerinspektoren in den Geschäften, Hotels und Restaurants neben den Kassen. Wie Hans-Jürgen Schlamp im Spiegel vom 7. 1. festhielt, »ging der Umsatz steil in die Höhe. Restaurants nahmen das Doppelte vom Vortag ein und das Dreifache vom Vor-Silvestertag 2010. Bei Luxusboutiquen vervierfachte sich der Absatz sogar. ›Wir sind offenbar gut fürs Geschäft‹, so die Kontrolleure, wobei sie ironisch grinsten. Sie sind davon überzeugt, dass die Registrierkassen dank ihrer Präsenz ausnahmsweise ehrlich gefüttert wurden. Sonst, so der schlimme Verdacht, wären drei Viertel der Einnahmen wie üblich als Schwarzgeld kassiert worden.« Hinzu kommt, dass die italienische Regierung auch mit Betrug aus den eigenen Reihen zu kämpfen hat. Wie ein Polizeibericht für die Jahre 2009 bis 2011 jetzt aufdeckte, arbeiten Tausende von Finanzbeamten nebenher illegal als Steuerberater. Die Beamten verwenden ihre Fachkenntnisse bezüglich des italienischen Steuersystems nicht etwa dafür, um dem Staat zu mehr Geld zu verhelfen, sondern um den Italienern die besten Tricks zur Steuergestaltung zu zeigen – aus erster Hand und natürlich gegen Bares. Einem Bericht des Corriere della Sera zufolge soll es sich dabei um eine geradezu boomende Branche handeln: Mit illegalen Tätigkeiten der Finanzbeamten wurden in diesen drei Jahren mehr als 20 Millionen € Gewinne auf Kosten der Staatskasse von fast 55 Millionen Euro erzielt. [4]